Bild: Bei einer Demonstration unter dem Motto »Zusammen gegen Rechts! AfD Verbot jetzt« in Chemnitz, 21.1.24 (IMAGO / Wolfgang Schmidt)
Im Zuge der Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus wird verstärkt ein AfD-Verbot diskutiert. Das sei „wenig hilfreich“, so „Blätter“-Mitherausgeber Claus Leggewie, weil so „die Rechtsverschiebung der gesamten Gesellschaft“ nicht korrigiert werden könne („Blätter“, 2/2024). Dem widerspricht der Pädagoge Manfred Pappenberger: Zum Schutz der Demokratie sei ein Verbot der AfD unerlässlich.
Die „Correctiv“-Enthüllungen über das Potsdamer Geheimtreffen, bei dem über massenhafte Deportation nach rassistischen Kriterien gesprochen wurde, haben auch dem und der Letzten offenbart, wie radikal die AfD denkt – und welche Gefahr von dieser Partei ausginge, sobald sie an die Macht käme. Die AfD verfolgt immer stärker eine völkisch-nationalistische Politik, fordert eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad und gibt rechtsextremer Ideologie eine parlamentarische Plattform mit großer Reichweite.
Zugleich hat der Diskurs über ein AfD-Verbot Fahrt aufgenommen. Zu Recht genießen Parteien als zentraler Bestandteil für das demokratische Entscheidungssystem grundgesetzlichen Schutz und Privilegien. In Staaten mit langer demokratischer Tradition, etwa Großbritannien oder den USA, gelten Parteiverbote als schwerer, unangemessener Eingriff in die Meinungsfreiheit. Und auch bei uns liegen die Hürden dafür bewusst hoch. Allerdings haben die Erfahrungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik und aus der totalitären NS-Schreckensherrschaft dem Parlamentarischen Rat einen entscheidenden Impuls dafür geliefert, dass sich Demokratien gegen ihre Feinde wehrhaft erweisen sollen – notfalls auch durch ein Verbot.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht im Verfahren gegen die NPD 2017 deren verfassungsfeindliche Ziele feststellte, verhängte es kein Verbot, da die Partei diese Ziele nicht erreichen könne. Dieses Urteil hat dazu beigetragen, dass aus Angst vor dem Scheitern ein Verbotsantrag gegen die AfD bis heute ausgeblieben ist.
Dabei ist es der AfD anders als der NPD seit ihrer Gründung im Jahre 2013 gelungen, in den Bundestag, in aktuell 14 Länderparlamente und in das Europaparlament einzuziehen. Und bei den drei kommenden Landtagswahlen schickt sie sich jeweils an, stärkste Partei zu werden, obwohl sie in Thüringen und Sachsen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, in Brandenburg als Verdachtsfall. Schon ihre Erfolge auf kommunaler und regionaler Ebene „machen deutlich, dass die AfD bereits jetzt in der Lage ist, Dominanzansprüche in abgegrenzten Sozialräumen zu verwirklichen“.[1] Die AfD hat damit erreicht, was weder NPD noch Republikaner oder DVU seit Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik geschafft haben: eine ernsthafte politische Größe zu werden.
»Die Gefahr beginnt nicht erst, wenn die AfD absolute Mehrheiten erreicht.«
Der Verweis darauf, dass sich noch immer ein Großteil der Wählerinnen und Wähler gegen die AfD entscheide und fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehe,[2] verkennt etwas Entscheidendes: Bereits jetzt verfügt die AfD über eine kritische Masse, mit der die Gefahr wächst, dass sich extrem beschleunigte gesellschaftspolitische Prozesse ereignen könnten, ohne in ihren Ausmaßen erkannt zu werden. Die Geschichte hat gezeigt, dass Instabilität eher die Regel und Stabilität eher die Ausnahme darstellt. Allein in den vergangenen hundert Jahren hat sich erwiesen, dass es jederzeit zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen kommen konnte, die vorher in keiner Weise für möglich gehalten wurden: Von der Machtergreifung Hitlers bis zum Holocaust vergingen weniger als zehn Jahre.
Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen könnte die AfD allerdings schon jetzt nicht nur stärkste Kraft werden, sondern sogar den Ministerpräsidenten stellen, sofern Grüne und FDP an der Fünfprozenthürde scheitern sollten. Doch die Gefahr beginnt nicht erst, wenn die in weiten Teilen rechtsextreme Partei absolute Mehrheiten erreicht. Auch die Fähigkeit zur politischen Blockade kann demokratiegefährdend sein: Sollte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze erringen, könnte sie eine Sperrminorität bilden und Entscheidungen verhindern, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen.
Darüber hinaus führen veränderte Machtverhältnisse dazu, dass die AfD nur noch mit einer Koalition aus politisch immer heterogeneren Parteien von der Machtausübung ferngehalten werden kann. Solche Regierungen – das zeigt sich bei der Ampelkoalition – bieten der Öffentlichkeit oft ein Bild ständiger Querelen statt politischer Handlungsfähigkeit, was insbesondere in Krisenzeiten mit härteren Verteilungskämpfen die Demokratieunzufriedenheit weiter erhöht. Eine Konstellation, die ein weiteres Wachstum der AfD befürchten lässt.
Zudem wäre es ein großer Fehler, die AfD isoliert zu betrachten. Denn die Partei erfüllt die Funktion eines Scharniers mit weit verzweigten Netzwerken im In- und Ausland. So gibt es Verbindungen zu Pegida, zu neurechten Strategen wie Götz Kubitschek, zur Identitären Bewegung und zu gewaltbereiten Gruppen – und nicht zuletzt zu Verschwörungstheoretikern, Querdenkern und Reichsbürgern. Mitglieder dieser drei Szenen planten um die Person Heinrich XIII. Prinz Reuß einen Staatsstreich, wobei die AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann als zukünftige Justizministerin in einer möglichen Putschisten-Regierung vorgesehen war.
»Seit Ende des Kalten Krieges sind die meisten Demokratien durch Wahlsiege extremistischer Parteien zusammengebrochen.«
Auch wenn historische Vergleiche nur mit größter Vorsicht berechtigt sind, ist festzustellen, dass die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 schon mit einem Stimmenanteil von 15 Prozent aller Wahlberechtigten eine kritische Masse erreicht hatte, die dazu führte, dass Adolf Hitler nur zweieinhalb Jahre später Reichskanzler wurde. Die AfD kommt aktuell bereits auf 18 bis 19 Prozent.
„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen“, schrieb Joseph Goebbels schon 1928: „Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. […] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir!“[3]
»Wartet man, bis eine Partei stark genug ist, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen, könnte der Zeitpunkt für ein Verbot verpasst sein.«
Gewiss, Geschichte wiederholt sich nicht, aber es gibt Ähnlichkeiten, die es zu erkennen gilt. Nicht nur die Weimarer Republik ist in einem Prozess gescheitert, der an der Wahlurne begonnen hat. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind die meisten Demokratien nicht durch Staatsstreiche zusammengebrochen, sondern durch Wahlsiege extremistischer Parteien. Während bei einem klassischen Putsch der Tod der Demokratie für alle sofort offensichtlich ist, verläuft deren Aushöhlung durch Erfolge extremistischer Parteien anfangs so unmerklich, dass sie kaum wahrgenommen wird. „Das tragische Paradox des Abgleitens in den Autoritarismus über Wahlen besteht darin, dass die Mörder der Demokratie deren eigene Instrumente benutzen, um sie zu töten – schrittweise, fast unmerklich und legal.“[4]
Sind extremistische Parteien erst einmal an der Macht, ist es zu spät – dann höhlen sie die demokratische Ordnung systematisch aus, kriminalisieren kritische Haltungen und eliminieren gezielt ihre politischen Gegner.
Zugleich wirft die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein ernsthaftes Dilemma auf: Ist eine Partei zu klein und unbedeutend, wird sie nicht verboten. Wartet man jedoch so lange, bis eine Partei stark genug ist, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen, könnte der Zeitpunkt für ein Verbot verpasst sein. „Kommt es zur Machtausübung auf kommunaler Ebene, möglicherweise im Zuge einer Kooperation mit anderen Parteien, kann dies der Anfang davon sein, dass solche Effekte der Normalisierung sich auf der Landesebene fortsetzen, bis sie möglicherweise auch die Bundesebene erreichen.“[5]
Dem trägt auch Karlsruhe Rechnung, indem festgestellt wird, dass „sich der Zeitpunkt, ab dem eine konkrete Gefahr [für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, d. Verf.] vorliegt“, nicht genau bestimmen lasse: „Müsste der Eintritt einer konkreten Gefahr abgewartet werden, könnte ein Parteiverbot […] erst zu einem Zeitpunkt in Betracht kommen, zu dem die betroffene Partei bereits eine so starke Stellung erlangt hat, dass das Verbot nicht mehr durchgesetzt werden kann.“ Dabei gilt, so die Verfassungsrichter, dass Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz darauf abzielt, „nach der Maxime ‚Wehret den Anfängen‘ frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Parteien zu eröffnen […]. Das Parteiverbotsverfahren hat seiner Natur nach den Charakter einer Präventivmaßnahme […]. Es zielt nicht auf die Abwehr bereits entstandener, sondern auf die Verhinderung des Entstehens künftig möglicherweise eintretender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung.“[6]
Ein Parteiverbot kommt dagegen zu spät, „wenn eine Partei erst einmal reale Zugriffschancen auf politische Macht hat“.[7] Genau diese Gefahr ist gegenwärtig jedoch höchst akut.
»Ein Verbot würde einem drohenden steigenden Einfluss der AfD und einer Verfestigung ihrer Strukturen wirksam entgegentreten.«
Gewiss gilt es immer sorgfältig abzuwägen, welche negativen Konsequenzen ein Parteiverbot mit sich brächte. So würde sich die AfD als Opfer stilisieren und behaupten, dass sich die etablierten Parteien nur noch durch das juristische Ausschalten eines politischen Konkurrenten zu helfen wüssten und nicht mehr durch die Kraft der Argumentation. Doch diese Opferinszenierung ist Bestandteil der DNA der AfD, ihrer politischen Strategie und ihres Selbstverständnisses. „Würde ein Verbotsantrag [...] nur deshalb gemieden, um der AfD keine Möglichkeit zu bieten, sich als Opfer zu inszenieren, würde dies in der Konsequenz darauf hinauslaufen, eine wichtige Schutzmöglichkeit der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie aufzugeben. Damit wäre die Strategie der AfD, sich als Opfer zu inszenieren, vollends aufgegangen.“[8] Gegen ein Verbot spräche zudem, dass es zu einer weiteren Radikalisierung führen und manche AfD-Mitglieder sogar in den Untergrund drängen könnte.
Doch auf eine mögliche Eskalation der Gewaltspirale oder den Aufbau von Untergrundorganisationen „muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses […] wirkungsvoll zu schützen“.[9]
Oftmals wird auch die Gefahr einer Solidarisierungswelle für die AfD befürchtet, sollte ein Verbotsverfahren scheitern. Doch nicht ein solches Scheitern stärkt die AfD nachhaltig, sondern die mangelhaften politischen Handlungskonzepte und das unzulängliche Erscheinungsbild, das die etablierten Parteien bei der Bewältigung der aktuellen Krisensituationen abgeben.
Demgegenüber würde ein Verbot einem drohenden steigenden Einfluss der AfD und einer Ausweitung und Verfestigung ihrer Strukturen wirksam entgegentreten. Es würde die Risiken begrenzen, die von der Existenz dieser Partei mit ihrer verbandsmäßigen Wirkmächtigkeit ausgehen, insbesondere ihre institutionalisierte Verbreitungsmöglichkeit rassistischen und nationalistischen Gedankenguts.
Gewiss, ein Parteiverbot würde das in der Gesellschaft existierende rassistische und rechtsextreme Gedankengut nicht abschaffen. Parteiverbote sind damit auch „kein Ersatz für Politik, die die Menschen überzeugt. Sie sind aber auch kein Panik-Button, sondern sinnvoller institutioneller Selbstschutz“[10] gegen bedenkliche, demokratiegefährdende Entwicklungen. Dieser Selbstschutz ist dringend erforderlich.
Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht am 23. Januar dieses Jahres entschieden, die Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) für die Dauer von sechs Jahren von der Parteienfinanzierung auszuschließen.[11] Man kann nur hoffen, dass von diesem Urteil ein klares Signal zum Schutz der Demokratie ausgeht – auch im Kampf gegen die AfD.
[1] Hendrik Cremer, Warum die AfD verboten werden könnte. Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2023, S. 59.
[2] Albrecht von Lucke, Wagenknecht oder AfD-Verbot: Die letzte Chance?, in: „Blätter“, 9/2023, S. 5-8, hier: S. 7.
[3] Leitartikel in: „Völkischer Beobachter“, 30.4.1928.
[4] Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können, Bonn 2018, S. 17.
[5] Hendrik Cremer, Warum die AfD verboten werden könnte, a.a.O., S. 59.
[6] BVerfG (2017), S.156 f, Rn 583 und Rn 584.
[7] Klaus Ferdinand Gärditz, Für ein Verbot der AfD – zum Schutz der Demokratie, in: „Blätter“, 11/2023, S. 37-40, hier: S. 37 f.
[8] Cremer, a.a.O., S. 62.
[9] BVerfG (2017), S.261, Rn 1008.
[10] Gärditz, a.a.O., S. 40.
[11] BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –, Rn. 1-510.