Nach den Vorstellungen der Bundesregierung wird am 26. Mai im Bundestag in 2. und 3. Lesung über das Gesetzespaket zum "Asylkompromiß" beraten, der Bundesrat soll im Juni entscheiden. Am 1. Juli sollen dann die Gesetzesänderungen einschließlich der Grundgesetzänderung in Kraft treten. Das Regierungsabkommen über die "Zusammenarbeit hinsichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewegungen" zwischen der Bundesrepublik und der Republik Polen, das wir nachstehend dokumentieren, flankiert die Asylpolitik der Bundesregierung, indem es die Zuwanderung aus und über Polen wie alle östlichen Anrainerstaaten der BRD einseitig zum "sicheren Drittland" erklärt - in die Bundesrepublik begrenzt und die Abschiebung von Flüchtlingen ermöglicht. Für Innenminister Seiters hat das Abkommen "Modellcharakter für weitere entsprechende Vereinbarungen". - Die "Ostverschiebung der Asylfrage" kommentieren im vorliegenden Heft Petra Hanf und Claudia Roth. D. Red.
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und die Regierung der Republik Polen
- in dem Bestreben, im Geiste des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 konstruktiv zusammenzuwirken,
- in der Erkenntnis, daß die Einbeziehung der Republik Polen in die Europäischen Gemeinschaften, darunter ihre Beteiligung an der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Gemeinschaften im Bereich Asylrecht im Interesse beider Staaten und der europäischen Zusammenarbeit liegt,
- in dem Bewußtsein ihrer Verpflichtungen aus dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls vom 31. Januar 1967 und aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
- in dem Bestreben, ein regionales und in Zukunft gesamteuropäisches System von Rückübernahmeabkommen zu schaffen,
- in dem Bewußtsein, daß unkontrollierte Wanderungsbewegungen in den gegenwärtigen Größenordnungen und die von den europäischen Staaten getroffenen Maßnahmen sowie die Änderung des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland einen verstärkten Zustrom von Flüchtlingen und illegalen Zuwanderern in die Republik Polen verursachen, auch als Ergebnis einer vermehrten Rückführung von Personen aus der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Polen aufgrund des Übereinkommens der Schengener Staaten mit der Republik Polen betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 29. März 1991, haben folgendes vereinbart.
Artikel 1
1. Die Vertragsparteien bestätigen ihre gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen zwischen den Regierungen der Schengener Staaten und der Regierung der Republik polen betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt vom 29. März 1991.
2. Die Vertragsparteien beschließen, daß die Bestimmungen des in Absatz 1 genannten Übereinkommens keine Anwendung finden auf Personen, die sich auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland befunden und einen Asylantrag gestellt haben vor einem Datum das in einem Notenwechsel durch die Vertragsparteien festgelegt wird. *)
3. Die Vertragsparteien beschließen, daß die Bestimmungen des in Absatz 1 genannten Übereinkommens keine Anwendung finden auf Personen, die die Voraussetzungen für eine Einreise nicht erfüllen und sich mit Wissen der jeweiligen Behörden länger als sechs Monate auf dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien befinden. 4. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird auch nach dem in Absatz 2 genannten Zeitpunkt Asylanträge von Personen prüfen, die bei der Einreise in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland die Voraussetzungen für die Einreise erfüllt haben.
Artikel 2
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird sich an den Kosten beteiligen, die die Regierung der Republik Polen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Institutionen zu tragen hat, die sich mit der Prüfung von Asylanträgen oder Anträgen auf die Anerkennung als Flüchtling sowie mit der Ausbildung von Personal beschäftigen, das Verfahren dieser Art bearbeitet, und wird hierzu auch administrative Hilfe gewähren.
Artikel 3
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird der Regierung der Republik Polen Unterstützung leisten bei der Ausstattung mit Transport- und Kommunikationsmitteln sowie technischer Ausrüstung und organisatorische und finanzielle Hilfe, um unkontrollierten Wanderungsbewegungen entgegenzuwirken.
Artikel 4
1. Die in Artikel 2 und 3 genannten Leistungen betreffen insbesondere: - den Ausbau des technischen Systems der Sicherung der Staatsgrenze der Republik Polen, - die finanziellen Belastungen der Regierung der Republik Polen, die im Zusammenhang mit der verstärkten Rücküberstellung von Ausländern aus der Bundesrepublik Deutschland in die Länder, aus denen diese Personen gekommen sind, bzw. in ihre Herkunftsländer entstehen, - den Aufbau einer Infrastruktur zur Durchführung von Asylverfahren und den Unterhalt von Asylbewerbern und Personen, die den Status eines Flüchtlings beantragen, im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Verfahren dieser Art, - die Schaffung eines zentralen Erfassungssystems von Ausländerdaten, - die Ausbildung für Beamte des Grenzschutzes und der Polizei sowie der mit Asylverfahren befaßten Personen.
2. Art und Umfang der Leistungen sowie weitere Einzelheiten des Leistungsprogramms und seine Abwicklung werden durch Zusatzprotokolle, die Bestandteil dieses Abkommens sind, für jeweils zwei Jahre von den Innenministern der Vertragsparteien festgelegt.
Artikel 5
Die Vertragsparteien werden sich gegenseitig über Tendenzen und Ereignisse unterrichten, die zu einer sprunghaften oder massiven Zunahme von Flüchtlingen bzw, illegalen Zuwanderern auf dem Hoheitsgebiet ihrer Staaten führen können.
Artikel 6
1. Wenn außergewöhnliche Ereignisse zu einem sprunghaften oder massiven Zustrom von Flüchtlingen oder illegalen Zuwanderern auf das Hoheitsgebiet der Republik Polen führen, wird die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bestimmten Gruppen dieser Personen die Einreise in das Hoheitsgebiet ihres Staates gestatten.
2. Die Vertragsparteien werden einvernehmlich das Eintreten der Voraussetzungen nach Absatz 1 feststellen sowie die Zahl und das Verfahren der Aufnahme von Personen regeln.
3. In den in Absatz 1 genannten Fällen können die Vertragsparteien daneben andere Formen der Hilfe vereinbaren.
Artikel 7
1. Es wird ein ständiger Ausschuß eingesetzt, in den die Vertragsparteien jeweils drei Vertreter entsenden. Der Ausschuß tritt mindestens einmal jährlich zusammen. 2. Der Ausschuß hat die Aufgabe, die Durchführung dieses Abkommens zu beurteilen und, soweit erforderlich, Vorschläge an die Vertragsparteien zur Anwendung und Auslegung dieses Abkommens zu erarbeiten.
Artikel 8
1. Dieses Abkommen tritt nach Ablauf von dreißig Tagen nach dem Tag in Kraft, an dem die Vertragsparteien einander durch Notenwechsel mitgeteilt haben, daß die erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.
2. Die Vertragsparteien vereinbaren, dieses Abkommen vom achten Tag nach seiner Unterzeichnung an vorläufig anzuwenden.
Artikel 9
1. Dieses Abkommen wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.
2. Jede Vertragspartei kann dieses Abkommen nach Konsultation der anderen Vertragspartei aus wichtigem Grund durch Notifikation suspendieren oder kündigen.
3. Die Suspendierung oder Kündigung tritt nach Ablauf von sechs Monaten nach Eingang der Note über die Suspendierung oder Kündigung dieses Abkommens bei der anderen Vertragspartei in Kraft. Geschehen zu Bonn am 7. Mai 1993 in zwei Urschriften, jede in deutscher und polnischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.
Für die Regierung der Republik Polen, Andrej Milczanowski, Innenminister
Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, Rudolf Seiter, Bundesminister des Innern
*) Hierzu erklärte Bundesinnenminister Rudolf Seiters anläßlich der Unterzeichnung: "Die Bundesrepublik Deutschland wird keine Personen rücküberstellen, die vor dem Inkrafttreten des neuen deutschen Asylrechts über Polen nach Deutschland gelangt sind. Im Jahre 1993 wird die Zahl der zurückzuführenden Personen auf 10 000 begrenzt." D. Red.