
Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Bundespressekonferenz, 14.7.2023 (IMAGO / photothek / Florian Gaertner)
Wenigstens auf Karlsruhe ist noch Verlass: Am Ende war es nicht der Kanzler, sondern das Bundesverfassungsgericht, das ein Machtwort im ewigen Ampel-Streit sprach. Schonungslos und unbestechlich untersagte es im Eilverfahren eine zweite und dritte Lesung des umstrittenen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) vor der Sommerpause – nachdem die FDP zuvor stolz verkündet hatte, dass es sich nach all den Korrekturen nun um ein ganz anderes Gesetz handele und damit die vorangegangene erste Lesung zur Makulatur gemacht hatte.
Das Dilemma der Angelegenheit: So sehr das oberste deutsche Gericht zum Schutze des parlamentarischen Verfahrens und damit der Demokratie entschied, so sehr wird durch das desaströse Agieren der Ampelkoalition dieser Demokratie Schaden zugefügt. Mit der Karlsruher Entscheidung, das GEG wegen „rechtsmissbräuchlicher Beschleunigung“ vorerst zu stoppen, ist die Regierung an einem – vielleicht nur vorläufigen – Tiefpunkt angelangt. Denn das Scheitern des ursprünglichen GEG steht nicht nur für das Scheitern der Klimapolitik, sondern für eine nach den ersten bald zwei Jahren insgesamt gescheiterte Koalition. Kurz vor der Halbzeit dieser „Zukunftskoalition“ ist die Hoffnung zerstoben, dass dort zusammenwachsen könnte, was angeblich zusammengehört. Wir erleben stattdessen eine Ampel im permanenten Modus der Selbstblockade. Jetzt bewahrheitet sich das, was – aller Selfie-Besoffenheit zum Trotz – von Beginn an zu befürchten war: dass diese Koalitionäre über keinen tauglichen Modus Vivendi verfügen, sondern fast immer gegen- statt füreinander spielen würden.[1]
Während die FDP als klassische Klientelpartei vor allem die Interessen der Bessersituierten befriedigen will, setzt die SPD primär auf den eigenen Erfolg bei der nächsten Bundestagswahl – bei zumindest klammheimlicher Freude über das Ende des Höhenflugs der Grünen als des einzigen Konkurrenten im links-mittigen Lager. In dieser primär parteitaktischen Orientierung treffen sich die Interessen von SPD und FDP: Auch den Liberalen ist in erster Linie daran gelegen, zu starke Grüne zu verhindern, damit jegliche Zweier-Koalition ausscheidet und sie auch in der kommenden Regierung dabei sein werden – ob in Jamaika oder einer weiteren Ampel.
Diese rein taktischen Kalkulationen sind der Hauptgrund, warum die Grünen keine echte Wärmewende durchsetzen konnten und in den Umfragen abgestürzt sind. Anstatt den mangelhaften grünen Gesetzesentwurf und die vom Wirtschafts- und Klimaministerium zu verantwortenden inhaltlichen Fehler kooperativ zu diskutieren und zu verbessern, setzte die FDP als Fundamentalopposition in der Regierung sofort auf Konfrontation. Und anstatt entschlossen zu führen und den Streit frühzeitig zu schlichten, hüllte sich der Kanzler in Schweigen – und brachte damit zum Ausdruck, dass ihm an der Durchsetzung einer wirkungsvollen Klimapolitik nicht wirklich gelegen ist. Klopft man den vermeintlichen „Klimakanzler“ (Scholz über Scholz im Wahlkampf) auf seine öffentlichen umweltpolitischen Positionen in der Regierung ab, bleiben vor allem zwei Aussagen im Gedächtnis: das ignorant-schnoddrige „Nö“ auf die Frage, ob ihm ökologische Sparmöglichkeiten in der Gaskrise einfallen, und – nicht weniger aussagekräftig – das Wort „bekloppt“ für die sogenannten Klimakleber. Auch wenn es gute Gründe dafür gibt, die Aktionen der Letzten Generation als in der Sache kontraproduktiv zu kritisieren, zeigt das schnöde „bekloppt“, dass dem Kanzler das Verständnis für die Verzweiflung und das berechtigte Krisenempfinden eines Teils der jungen Generation völlig abgeht. In einer solchen Situation nicht wenigstens den Versuch zu unternehmen, Empathie aufzubringen, bringt ein dreifaches Versagen zum Ausdruck: den Unwillen, die wirkliche Dimension der Klimakrise zu verstehen, sodann die erforderlichen Maßnahmen adäquat zu erklären und, am wichtigsten, diese auch gegen die Interessen der FDP und eines erheblichen Teils der eigenen Wählerschaft durchzusetzen.
Die Grünen als Verlierer
So aber stehen die Grünen nach dem gescheiterten GEG als die alleinigen Verlierer da; und zugleich dürfte mit den dadurch ausgelösten wütenden Protesten eine tiefer gehende Klimapolitik bis auf weiteres wenn nicht ausgeschlossen, so doch massiv erschwert sein – zur Freude der FDP und der sie unterstützenden medialen Bataillone, insbesondere des Springer-Verlages. Symptomatisch dafür waren der Jubel und Triumphalismus der Liberalen, gemeinsam mit CDU/CSU, angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Vertagung des GEG als einem weiteren Tiefschlag für die Grünen. Insofern geht die Krise der Ampel längst über die normale Halbzeitkrise jeder Koalition hinaus. In Teilen liegt dies in der Natur der Sache begründet, nämlich den divergierenden Interessen der höchst unterschiedlichen Akteure dieser Dreier-Koalition – zumal in einer historischen Krisenzeit. Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang hat insofern Recht mit ihrer Aussage, dass die Ampel die Konflikte stellvertretend für die gesamte Gesellschaft austrägt. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie diese Konflikte ausgetragen werden. Denn in der Ampel geschieht dies auf rein destruktive Weise, vor allem seitens der FDP.
Dass eine Dreierkonstellation keineswegs immer so desaströs agieren muss wie die Ampel, bewies von 2017 bis 2022 die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein. Sie funktionierte fast reibungslos, weil die Grünen, obwohl dort sie mit dem gegnerischen Lager aus CDU und FDP koalierten, völlig anders agierten als heute die FDP im Bund, nämlich kooperativ, und weil Ministerpräsident Daniel Günther für den erforderlichen Interessenausgleich sorgte. Die Konsequenz: Bei der letzten Landtagswahl fiel die AfD unter die Fünfprozenthürde und verpasste den Wiedereinzug ins Parlament. Im Bund erleben wir dagegen das glatte Gegenteil: einen dramatischen Niedergang der Ampel, bei gleichzeitigem Höhenflug der AfD – maßgeblich befördert durch das desaströse Erscheinungsbild der Regierung. Längst färbt deren Niedergang auch auf die Bundesländer ab, und zwar besonders dramatisch in Thüringen, der Wahlheimat des heimlich-unheimlichen rechtsextremistischen AfD-Anführers Björn Höcke: Laut jüngster Umfrage im Auftrag des MDR kommen die Rechtspopulisten dort auf 34, sämtliche Ampel-Parteien zusammen dagegen nur auf 19 Prozent (SPD 10, Grüne 5, FDP 4).[2]
Wenn man sich daher eines für das Land wünschen muss, dann einen Neustart der Ampel für die verbleibenden gut zwei Jahre. Das allerdings verlangt ein regelrecht kathartisches Moment, die Besinnung aller drei Koalitionäre darauf, dass man nur gemeinsam gewinnen kann – und daher auch den Partnern Erfolge gönnen muss.
Kein »Zurück auf Los«
Dieses „Zurück auf Los“ ist allerdings schon deshalb reichlich illusorisch, weil auch eine Koalition niemals in den gleichen Fluss springt. Bald zwei Jahre nach dem Beginn haben sich alle drei Parteien radikal nach unten gewirtschaftet. Die vormals guten Startbedingungen gehören längst der Vergangenheit an. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle nur umso mehr auf eigene Rechnung spielen, ist daher weit größer als noch zu Beginn der Koalition. Schon mit Blick auf die wichtigen Landtagswahlen am 8. Oktober in Bayern und Hessen wird vor allem die FDP alles daransetzen, sich selbst zu profilieren und den Wiedereinzug in beide Parlamente zu schaffen. Darauf folgen Anfang Juni 2024 die Europa-Wahlen und dann im Herbst 2024 die so wichtigen Landtagswahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen, bei denen sowohl FDP als auch Grüne um den Wiedereinzug bangen müssen.
Was die Grünen betrifft, sind sie aufgrund des verkorksten GEGs und der Kampagne gegen Habecks „Heizhammer“ („Bild“) in Teilen des Ostens, aber keineswegs nur dort, regelrecht verhasst. Hinzu kommt, dass auf dem umweltpolitischen Feld bereits jetzt derartig viel verbrannte Erde hinterlassen wurde, dass es für die Partei ungemein schwer werden wird, ihre eigene Anhängerschaft insbesondere in der Klimabewegung zu befriedigen. Die Partei befindet sich faktisch in der Zange: Während erhebliche Teile der Bevölkerung nach dem GEG-Debakel jede entschiedene Klimapolitik ablehnen, wird die Kritik speziell der Umweltverbände weiter zunehmen. Man erlebt daher einen regelrecht demütig auftretenden Robert Habeck, der sich höchst selbstkritisch gibt und die Koalitionspartner förmlich anfleht, in Zukunft kooperativ zu agieren – auch weil er weiß, dass er auf Gedeih und Verderb von einer konzilianten Haltung speziell der FDP abhängig ist.
Immerhin ist einem Teil der Liberalen nicht verborgen geblieben, dass die eigene aggressive Strategie gegen die Grünen zu Lasten der gesamten Ampel-Koalition geht – und damit letztlich auch zu Lasten der eigenen Partei. Derzeit ringen in der FDP zwei Fraktionen miteinander: eine eher sozialliberal ausgerichtete um den Sozialpolitiker Johannes Vogel, die auf konstruktive Verständigung mit den Grünen setzt – und eine rein populistisch-destruktive um den stellvertretenden Bundestagspräsidenten Wolfgang Kubicki und den renitenten Abgeordneten Frank Schäffler. Dabei agieren Letztere offenbar mit Duldung, wenn nicht sogar mit ausdrücklicher Unterstützung von Parteichef Christian Lindner. Der Grund dafür: Das ausgesprochen gute Ergebnis der FDP bei der letzten Bundestagswahl wurde primär mit einer AfD-light-Strategie (gegen die Coronapolitik der großen Koalition) erzielt, die die Kubicki-Fraktion seit Beginn der Ampel faktisch in eine Anti-Grünen-Politik übersetzt hat und die sie mit jeder weiteren Wahlniederlage immer mehr verschärft.
Das zeigt sich exemplarisch bei Lindners Haushaltsgesetz und speziell beim Kampf um die Kindergrundsicherung. Auch hier lag, wie beim GEG, der Anfangsfehler bei den Grünen, deren Familienministerin Lisa Paus mit einer nicht ausreichend unterlegten Forderung von zwölf Mrd. Euro für die Kindergrundsicherung in die Haushaltsverhandlungen gegangen und zudem offenbar nicht in der Lage war, frühzeitig einen klaren Finanzierungsvorschlag zu unterbreiten. Allerdings zeigte der Finanzminister ihr – und damit dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Projekt – mit einem „Merkposten“ von gerade einmal zwei Mrd. Euro brutalstmöglich die kalte Schulter. Zugleich fehlte den Grünen bei diesem, ihrem sozialen Prestigeobjekt die klare Unterstützung auch des Kanzlers. Anstatt mit Lisa Paus den Elterngeldbezug auf Paare von – bisher – einem gemeinsam zu versteuernden Einkommen von bis zu 300 000 Euro auf dann immer noch sehr beträchtliche 150 000 Euro zu begrenzen (was einem Bruttoeinkommen von circa 180 000 Euro entspricht), lehnte die SPD dies ab und konterte es mit der Forderung nach der – in der Sache durchaus richtigen – Abschaffung des Ehegattensplittings, allerdings im Wissen darum, dass die FDP dem ohnehin nicht zustimmen würde.
An dieser Kakophonie der Vorschläge zeigt sich, dass sich die Parteien längst wieder im Wahlkampfmodus befinden und daher jedes Gesetzesvorhaben immer und zuerst auf die Verteidigung der eigenen kurzsichtig kalkulierten Interessen abklopfen werden. Und daran wird sich auch nach der Sommerpause nichts ändern, im Gegenteil: Mit Blick auf den 8. Oktober wird sich das Strampeln gegeneinander noch intensivieren. Und mit anhaltendem Versagen der Koalition dürfte der Wutpegel im Land weiter steigen und die AfD noch mehr triumphieren.
Die fatale Konsequenz: Am Ende geht es weiter nach unten, und zwar keineswegs nur für die Koalition, sondern für das gesamte demokratische System. Auf der Koalition ruht daher eine immense staatspolitische Verantwortung, auch für die Zukunft kommender Generationen. Sie muss in den nächsten zwei Jahren das unter Beweis stellen, woran sie bisher völlig gescheitert ist – vernünftig zu regieren. Getreu dem so oft bloß behaupteten Leitmotiv: Erst das Land, dann die Partei.
Ein Gutes allerdings hat die Krise: Inzwischen ist sie in aller Härte beim Kanzler angekommen, steht Olaf Scholz selbst im Mittelpunkt der Kritik. Seine ständigen fast autosuggestiven Aufrufe zu mehr „Optimismus“, „Gelassenheit“ und „Coolness“ verfangen nicht mehr, beziehungsweise erzeugen die gegenteilige Wirkung.
Umso mehr wird an diesem Punkt deutlich, wie sehr es jetzt auf den Kanzler ankommt. „Ich muss daran denken, was der Feldherr Helmut Schmidt mit uns gemacht hätte, wenn wir so gezankt hätten wie die Ampel“, erinnert sich fast schon nostalgisch der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP).[3] „Auch früher flogen die Fetzen“, so Baum weiter, „aber nicht in der Regierung, sondern zwischen Regierung und Opposition. Er [Schmidt] hätte gesagt: Setzt euch gefälligst mal an einen Tisch, und zwar ohne Papier. Und dann redet ihr, bis ihr euch einig seid. Oder ihr gebt das Projekt auf.“
Gewiss, man wird aus Olaf Scholz keinen schneidigen Redner wie Helmut Schmidt oder gar einen visionären Charismatiker vom Schlage Willy Brandts machen. Doch dass diese Koalition sich erst intern über ein Gesetzesvorhaben streitet, um sich dann auf einen gemeinsamen Entwurf zu einigen und diesen dann geschlossen zu vertreten, das ist in der Tat das Mindeste, was man von ihr erwarten darf.
Bei seinem Amtsantritt hat Olaf Scholz eine „Gesellschaft des Respekts“ zu seinem Ziel erklärt. Dieser Respekt gebührt auch der Demokratie und verlangt damit nach vernünftigem Regieren, zumal in solchen Krisenzeiten. Sollte dies dem Kanzler und der Koalition weiter nicht gelingen, könnte schon bald der Punkt erreicht sein, an dem man sich für die Ampelkoalition lieber ein schnelles Ende mit Schrecken wünscht – als einen blau-braunen Schrecken ohne Ende.
[1] Albrecht v. Lucke, Ampel auf Grün: Die sozial-ökologisch-liberale Illusion?, in: „Blätter“, 11/2021; ders., Nach der Wahl ist in der Qual: Die Ampel auf Rot?, in: „Blätter“, 12/2021.
[2] Linkspartei und CDU kommen auf 20 bzw. 21 Prozent; vgl. MDR-Umfrage: AfD in Thüringen bei 34 Prozent, www.mdr.de, 5.7.2023.
[3] „Teile des Bürgertums verachten die Demokratie“, www.faz.net, 27.6.2023.