Warum im Ukrainekrieg Gespräche unbedingt geboten sind

Bild: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky im Marienpalast in Kiew, 19.11.2022 (IMAGO / ZUMA Wire)
Der Krieg in der Ukraine ist im Herbst in eine neue Eskalationsphase eingetreten – und zwar nicht nur auf dem Schlachtfeld zwischen russischen und ukrainischen Truppen, sondern ebenso im Verhältnis der beiden nuklearen Großmächte Russland und den USA. Nukleare Drohungen und Überlegungen zu möglichen Vergeltungsschlägen wurden über die mediale Öffentlichkeit ausgetauscht. Diese Situation ist ausgesprochen gefährlich, weil mangels direkter Kommunikation beide Seiten darauf angewiesen sind, Handlungen oder Aussagen des anderen zu interpretieren, die sich teilweise nicht einmal primär an sie richten, sondern viel eher Stärke gegenüber der eigenen Unterstützerklientel signalisieren sollen, um zu mobilisieren.
Bei Fehlwahrnehmungen können sich Drohungen aufschaukeln und schnell einen point of no return erreichen, an dem schon das kleinste Missverständnis in die Katastrophe führen kann. Zugleich hat auch die Mobilisierungskommunikation eskalatorische Konsequenzen. Insbesondere der russische Präsident Wladimir Putin hat durch die Erklärung seiner unbedingten, notfalls sogar atomaren Verteidigungsbereitschaft der vier widerrechtlich annektierten ukrainischen Gebiete einen großen Erwartungsdruck bei seinen Unterstützern im eigenen Land erzeugt, der ihm zukünftig Zugeständnisse schwermachen wird. Ein mögliches Szenario besteht daher tatsächlich darin, dass Putin, wenn die Rückeroberungen durch die Ukraine nicht aufzuhalten ist, taktische Nuklearwaffen gegen Kiew und andere Großstädte einsetzt, um nicht ohne einen „Sieg“ vom Platz zu gehen. Er könnte etwa behaupten, von der Ukraine werde so in den nächsten 50 bis 100 Jahren keine Gefahr für die Russische Föderation mehr ausgehen. Hinzu kommt: Ein Angriff auf Kiew könnte ihm noch immer als kalkulierbar erscheinen, da dies keinen Angriff auf Nato-Gebiet darstellen würde. Nach allem, was wir wissen, würde die Nato in einem solchen Fall nicht nuklear reagieren. Sie wird sich – völlig zu Recht und aus hoch rationalen Gründen – nicht auf einen Atomkrieg mit Russland einlassen, wenn sie nicht selbst angegriffen wird.
Gegen dieses Szenario spricht, dass sich die Russische Föderation mit einem Atomschlag in der Ukraine für die nächsten Jahrzehnte international komplett isolieren würde. Selbst China würde sie nicht mehr mit der Kneifzange anfassen. Darüber hinaus dürfte auch eine konventionelle Reaktion der Nato gegen russische Truppen in der Ukraine drastische Konsequenzen für Putin zeitigen. Die entscheidende Frage ist daher, was ihm für den Fall einer drohenden Niederlage als wichtiger erscheint: irgendwie wieder Anschluss an die internationale Gemeinschaft zu finden, oder nicht als kompletter Verlierer vom Platz zu gehen und deshalb sogar Nuklearwaffen zum Einsatz zu bringen. Auch wenn das Letztere meines Erachtens ein unwahrscheinliches Szenario ist, sollte man es nicht voreilig ausschließen, denn möglich bleibt es. Umso mehr kommt es darum auf Kommunikation an, insbesondere zwischen den USA und Russland. Dabei sollten beide Seiten in ihren Ansagen ganz klar sein, denn strategische Vieldeutigkeit wäre in der gegenwärtigen, hoch angespannten Lage grundfalsch und höchst gefährlich.
Das »Armageddon«-Moment
Insofern war Bidens „Armageddon“-Moment, sprich die Warnung vor dem atomaren Weltuntergang, durchaus gut und richtig, weil er deutlich gemacht hat, in welcher Phase des Konflikts wir uns befinden: nämlich in einer Phase, in der die beiden nuklearen Großmächte sich hoch konfrontativ begegnen. Die bekannteste Krise dieser Art stellte die Kuba-Krise von 1962 dar. Neue Archivveröffentlichungen zeigen, dass diese gerade nicht, wie allzu oft behauptet, durch größtmögliche Härte der US-Regierung gelöst wurde, sondern durch einen schmerzhaften Kompromiss zwischen beiden Seiten, weil sie gewahr wurden, dass sie direkt vor dem Point of no return stehen und die Demonstration von Stärke sie in die nukleare Katastrophe treibt. In dieser Situation war es die persönliche Kommunikation zwischen den beiden Präsidenten, John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow, trotz teils anderslautender Ratschläge ihrer Berater, die eine Deeskalation anstieß und letztlich einem vertraulichen Kompromiss den Weg bahnte, der beiden Seiten erlaubte, ihr Gesicht zu wahren: den USA, die sagen konnten, sie hätten die russischen Versuche abgewehrt, Nuklearwaffen auf Kuba zu stationieren; und Russland, das sicherstellen konnte, dass endlich die US-amerikanischen Jupiterraketen aus der Türkei abgezogen wurden. In der Folge dieser Krise entwickelte sich ein kommunikativer Rahmen zwischen den Feinden, der die Entspannung der Lage mitermöglichte und eine Politik der Parität statt der Dominanz entwickelte, die mithin nicht länger den Sieg, sondern die Stabilität der Ordnung als Zielvorgabe hatte.[1]
Heute ist die Lage wieder genauso gefährlich wie 1962. Doch zum Glück bringen die beiden entscheidenden Politiker, Putin und Biden, wie damals Kennedy und Chruschtschow das Potenzial für eine strategische Einigung durchaus mit. Auf der einen Seite haben wir einen ausgebildeten KGB-Agenten und auf der anderen einen sehr erfahrenen Politiker und Diplomaten. Die Frage ist nur: Werden sie in der Lage sein, zumindest hypothetisch die Position des anderen einzunehmen und von dieser Warte aus zu überlegen, was zu tun ist, um den hochgefährlichen Konflikt zu deeskalieren?
Putins Problem ist, wie oben beschrieben, dass er sich selbst mit seinen Annexionen und atomaren Androhungen stark gebunden hat. Schon der Rückzug aus Cherson dürfte ihm innenpolitisch enorme Probleme bereiten. Bei Biden fällt dagegen eine etwas erratische Kommunikation ins Auge: Zu großen Teilen kommuniziert er durchaus zielorientiert und strategisch, wie mit der „Armageddon“-Ansage. Dann wiederum gibt es gefährliche Aussagen, bei denen sich der Stab des Präsidenten nur verwundert die Augen reiben kann und anschließend große diplomatische Korrekturarbeit leisten muss – wie etwa bei Bidens Forderung, Putin könne nicht im Amt bleiben. Was nichts anderes bedeutet, als dass man auf einen Regime Change abzielt. Solche Ziele werden Putins Entschlossenheit, am Ruder zu bleiben, eher stärken und wirken damit eskalierend.
Ohne offene Gesprächskanäle eskaliert die Krise
Die entscheidende Lehre aus der Kuba-Krise war, dass ohne direkte Gesprächskanäle Krisen leicht eskalieren können. Deswegen sind jetzt Gesprächsangebote notwendig, weil nur direkte Kommunikation helfen kann, Missverständnisse auszuräumen und die Möglichkeit für Verhandlungen auszuloten, auch wenn man öffentlich noch nicht davon sprechen möchte.
Nichtsdestotrotz halten in der öffentlichen Debatte viele Beobachter Verhandlungen mit Russland weder für möglich noch für wünschenswert: Möglich seien sie nicht, weil die russische Föderation gar kein Interesse daran habe oder ihre Ziele keine sinnvollen Verhandlungen erlaubten, da sie die vollständige Unterwerfung der Ukraine beinhalteten. Und wünschenswert seien Verhandlungen auch nicht, weil damit ein verbrecherisches Regime für seine Gräueltaten, die es in Butscha, in Mariupol und so vielen anderen Orten der Ukraine begangen hat, noch belohnt würde. In strategischer Perspektive wird darüber hinaus vermutet, dass Russland Verhandlungen nur als eine Atempause nutzen würde, um seine Reserven wieder aufzustocken und den nächsten Angriff zu beginnen, Russland mithin also gar kein glaubwürdiger Verhandlungspartner sei.
Tatsächlich sieht es momentan für Verhandlungen nicht gut aus, da beide Seiten sich derzeit Chancen ausrechnen, den Konflikt militärisch für sich zu entscheiden. Die Ukraine erzielt seit Wochen Geländegewinne, zuletzt in Cherson, und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sogar ein Dekret erlassen, das Verhandlungen mit Putin verbietet. Russland wiederum hat auf die ukrainischen Erfolge mit Teilmobilmachung, widerrechtlicher Annexion, nuklearen Drohungen und dem Bombardement auf kritische Infrastrukturen reagiert. Dennoch setzen im Westen viele darauf, dass es der Ukraine gelingen könnte, Russland zur Kapitulation zu zwingen. Meiner Ansicht nach ist das allerdings kein wahrscheinliches Szenario: Nukleare Großmächte kapitulieren nicht, sie ziehen sich allenfalls zurück, wenn sie in einem asymmetrischen Konflikt nicht erfolgreich sind. So zogen 1989 die Sowjetunion und 2021 die USA aus Afghanistan ab, und 1973 mussten die USA Vietnam sieglos verlassen. Wenn hingegen der Gegner ebenbürtig ist, dann stehen im besten Fall Verhandlungen im Raum, im schlechteren Fall eingefrorene Konflikte, aber keine Kapitulation. Deshalb geht es jetzt darum, überhaupt erst einmal Gespräche anzustoßen und aufzunehmen, wenn auch noch keine Verhandlungen.
Diejenigen, die Verhandlungen oder Gespräche aufgrund ihrer vermuteten Erfolglosigkeit rundweg ablehnen, zeichnen dagegen ein Bild von Verhandlungen als etwas von vornherein auf Erfolg Gerichtetes, das es so in der Realität, zumal im Krieg, kaum jemals gibt. Und sie verkennen, dass Verhandlungen international gerade deshalb von besonderer Bedeutung sind, weil es weder Polizei noch Strafverfolgungsbehörden gibt, die Konflikte autoritativ zu schlichten vermögen. Trotz aller Fortschritte in dieser Richtung muss am Ende immer noch die freiwillige Einigung für Frieden sorgen – oder eben die vollständige Kapitulation. Und letztere ist bei Großmächten, zumal nuklearen, aus den genannten Gründen nicht wahrscheinlich
Erfolgreiche Verhandlungen unter Feinden gleichen einer Quadratur des Kreises: Zugeständnisse dürfen nicht artikuliert werden, um die eigene Position nicht zu schwächen, und im Ergebnis müssen sie sich sogar als Teilsieg verkaufen lassen, um ihren Bestand und das (politische) Überleben des jeweiligen Verhandlungsführers zu gewährleisten. Die gegenwärtig so verrufene Gesichtswahrung müssen beide Seiten im Blick haben. Verhandlungen starten gerade nicht mit Vertrauen ineinander, sondern ihr anfangs noch fernes Ziel ist ja gerade der Aufbau von dünnem Vertrauen. Sie starten auch nicht mit weitgehenden Zugeständnissen an den jeweils anderen, sondern mit Maximalforderungen, denn beide Seiten wollen ja ein optimales Verhandlungsziel durchsetzen. Je nachdem, wie stark die Verhandlungsposition, die Unterstützung und nicht zuletzt das Verhandlungsgeschick sind, desto eher wird ihnen das gelingen. Maximalforderungen werden also auf den Tisch gelegt, um nicht zu früh Verhandlungsmasse aus der Hand zu geben.
Zudem richten sich solche Forderungen auch an die jeweilige Unterstützerbasis. Wer Krieg führt, muss Unterstützung mobilisieren: Freiwillige, die in den Krieg ziehen, Rüstungsanstrengungen der Wirtschaft, externe Ressourcen. Wer aber öffentlich die Ziele, mit denen er oder sie mobilisiert hat, zurücknimmt, droht politisches Ansehen und innenpolitische Unterstützung zu verlieren. Das gilt nicht nur für den aktuellen Konflikt, sondern auch für die Zeit danach. Gerade weil Gesellschaften sich in und nach Kriegen unversöhnlich gegenüberstehen, muss der eigenen Seite vermittelt werden können, dass man keine unangemessenen Zugeständnisse an den Gegner gemacht, sondern zentrale Ziele erreicht hat. Ansonsten drohen die Ergebnisse keinen Bestand zu haben, weil sich die jeweiligen Adressaten nicht daran gebunden fühlen oder Verhandlungsführer entfernen. In jedem Fall bleibt das Problem, wie sichergestellt werden kann, dass beide Seiten die Vereinbarung auch ernsthaft umsetzen.
Nimmt man all das zusammen, ist die Zeit für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland tatsächlich nicht günstig. Das Kriegsgeschehen ist noch zu dynamisch, als dass eine Seite schon auf Verhandlungen drängen würde, um ihr Gesicht zu wahren. Noch setzen beide auf den Sieg. Erst wenn Gegner in etwa gleich stark sind oder durch Unterstützung von Dritten gleich stark werden, wird nach einer gewissen Zeit ein Stellungskrieg wahrscheinlich, in dem sich die Frontlinien kaum mehr verschieben, aber Mensch und Material verschlissen werden. Das ist der sogenannte Reifepunkt, an dem Verhandlungen möglich werden, weil beide Seiten ein genuines Eigeninteresse an einem Kompromiss haben. An diesem Punkt ist der Krieg gegenwärtig noch nicht, auch wenn sich für den Winter ein Eingraben der Konfliktparteien andeutet. Deshalb stehen momentan auch nicht echte Verhandlungen zur Debatte, aber umso dringlicher Gespräche – und zwar nicht nur, ja nicht einmal primär zwischen den direkten Kontrahenten, sondern zwischen den Großmächten, die direkt oder indirekt an diesem Krieg beteiligt sind. Hier ist das Ziel, Missverständnissen zwischen den Nuklearmächten vorzubeugen, Positionen zu klären und Verfahren der Deeskalation zu beleben, indem beide Seiten sich einigen, welche Handlungen strikt zu unterlassen sind und an welchen Punkten man sofort Kontakt aufnimmt – zum Beispiel, um die Sicherheit von Atomkraftwerken zu gewährleisten. Andere Möglichkeiten bieten Gespräche, die Dritte als Vermittler initiieren können, wie die Vereinten Nationen oder Regionalorganisationen, aber auch einzelne Staaten mit guten Kontakten zu beiden Seiten.
Wer könnte erfolgreich vermitteln?
Potentielle Vermittler in diesem Sinne sind etwa Viktor Orbán und Recep Tayyip Erdoğan. Für Orbán steht aber weniger die Vermittlung im Vordergrund seiner Bemühungen als vielmehr die Umsetzung von „Ungarn first“. Orbán hat ganz klargemacht, dass er mit Putin redet, um weiterhin günstiges Gas einkaufen zu können, und dafür auch bereit ist, für Putin zu werben. Auch Erdoğan zieht Gewinn aus seiner Beziehung zu Putin, aber er tut das nicht so offen und er hilft zugleich auch der ukrainischen Seite, wie seine jüngste erfolgreiche Vermittlung bei den Getreideexporten gezeigt hat.
Mit Blick auf die verfahrene Situation in der Ukraine könnte dagegen China tatsächlich einer der wenigen Akteure sein, die effektiv zu vermitteln in der Lage sind. Zur Erinnerung: Russland und die Ukraine haben zu Beginn des Krieges relativ zügig Gespräche und Verhandlungen aufgenommen und waren auch relativ weit mit einer Einigung gekommen. Dann kamen mit dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region Kiew allerdings die Gräueltaten in Butscha und vielen anderen Orten ans Licht, die die Verhandlungen beendeten. Mit der fortgesetzten westlichen Unterstützung durch Waffenlieferungen war es der Ukraine darüber hinaus möglich, die russischen Streitkräfte in Schach zu halten und zuletzt sogar zurückzudrängen. Beides hat die Aussichten auf Verhandlungen erheblich verringert.
In dieser Situation könnte China, der einzige relevante Partner Russlands, von Bedeutung sein. China könnte eine Kontaktgruppe formen und anführen, die beide Konfliktparteien akzeptabel finden, und über bilaterale Konsultationen mit Russland und der Ukraine für einen gestaffelten Rückzug Russlands vom Gebiet der Ukraine und flankierende Waffenstillstände werben. Aus meiner Sicht wird die Crux darin liegen, dass China Russland zum first move überzeugt, das heißt, ein nachhaltiger Rückzug muss vor dem Waffenstillstand erfolgen, damit die Ukraine überhaupt bereit ist mitzuziehen. Ihre negativen Erfahrungen mit der russischen Kriegstaktik aus dem Frühjahr rechtfertigen diese skeptische Haltung leider. Ob China diese Initiative ergreifen wird, hängt nicht zuletzt auch von den USA ab, die China in ihrer jüngsten Verteidigungsstrategie allerdings gerade als größte Bedrohung markiert haben. Immerhin könnte das Treffen der beiden Präsidenten Biden und Xi am Rande des G20-Gipfels auf Bali und ihre gemeinsame Verurteilung einer atomaren Eskalation etwas dazu beigetragen haben, das Verhältnis wieder in etwas konstruktivere Bahnen zu lenken.
Entscheidend werden bei alledem aber die Kontakte und Gespräche zwischen Russland und den USA als den beiden zentral beteiligten Großmächten sein. Dabei geht es nicht darum, der Ukraine vorzuschreiben, worüber und mit wem sie wann verhandeln soll, sondern um etwas anderes: nicht aus falschen Gründen Gesprächen den Weg abzuschneiden, bevor sie überhaupt begonnen haben. Gewiss, Biden und Putin können und sollen keinen Friedensvertrag zwischen Russland und der Ukraine ausarbeiten. Aber sie könnten einen Korridor für Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien schaffen, wenn es nämlich gelingt, die Konfliktfelder, die die beiden Kontrahenten betreffen, von jenen zu trennen, die das Verhältnis der Großmächte belasten. Dass wir über derartige Gespräche derzeit wenig in den Medien lesen, ist keineswegs ein schlechtes Zeichen. So etwas funktioniert am besten, wenn es vertraulich geschieht. Insofern sollte es uns nicht wundern, wenn ein solches Gespräch längst vorbereitet wird. Denn trotz aller schlimmen Nachrichten der letzten Wochen gibt es doch auch interessante Entwicklungen, die für eine vorsichtige Öffnung gegenüber Verhandlungen sprechen könnten. Parallel zur Teilmobilmachung hat Putin dem größten Gefangenenaustausch in diesem Krieg zugestimmt und etliche Asow-Stahlwerk-Kämpfer freigelassen, die eigentlich in Schauprozessen vorgeführt werden sollten – was für die russische Propaganda wichtig gewesen wäre. Und nach anfänglichen atomaren Drohungen im Kontext der Annexionen hat er jüngst geäußert, kein Interesse an einer nuklearen Eskalation zu haben – und tatsächlich folgt er bislang nicht den Hardlinern in seinen eigenen Reihen, die exakt dies, nämlich eine nukleare „Lösung“, fordern. Möglicherweise wird so versucht, die Tür einen kleinen Spaltbreit aufzumachen und zu schauen: Was passiert auf der anderen Seite? Sicherlich, nichts davon muss genau so sein. Aber es sind winzige, zumindest bemerkenswerte und nicht zwingend aggressiv zu deutende Signale, die genau beobachtet werden sollten, um mögliche Kommunikationswege zu öffnen und nicht zu schließen. Denn nur so wird eine weitere
Eskalation am Ende zu verhindern sein.
[1] Vgl. Christopher Daase, Von Kuba zur Ukraine. Zwei Nuklearkrisen im Vergleich, in: „APuZ“ 39/2022, S. 34-40.