Ausgabe Dezember 2020

Dezember 2020

Joe Biden heißt der Sieger dieser historischen US-Präsidentschaftswahl. In der Dezember-Ausgabe beleuchten die Politikwissenschaftler Peter Beinart und Albena Azmanova, der Ökonom Marshall Auerback sowie die Journalistin Elaine Godfrey die Gründe für Trumps Niederlage sowie die gewaltigen Herausforderungen, vor denen der designierte Präsident und dessen Partei stehen. Die Ökonomin Mariana Mazzucato plädiert dafür, in der Coronakrise die Weichen für die Schaffung einer inklusiveren und nachhaltigeren Wirtschaftsweise zu stellen. »Blätter«-Redakteurin Annett Mängel legt dar, wie eine resonanzstarke Minderheit von Ärzten die Pandemie verharmlost und so den Coronaleugnern in die Hände spielt. Und die Journalistin Cinzia Sciuto sowie der Philosoph Pascale Bruckner plädieren für einen deutlich kritischeren Umgang mit dem Islamismus – gerade seitens der Linken.

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Kommentare

Kaczyńskis Kulturrevolution

In Polen kündigt sich dieser Tage ein fundamentaler Kulturwandel an. Die gesellschaftliche Polarisierung erreicht mit dem „Frauenstreik“ gegen die Reform des Abtreibungsrechts einen neuen Höhepunkt. Seit langem ist die polnische Gesellschaft tief gespalten in proeuropäisch liberal-progressive und konservativ-nationale Kräfte. Medienpropaganda und Hetzkampagnen der Regierung schüren diese Polarisierung jeden Tag. Und die Bevölkerung ist zunehmend frustriert über die brüderliche Feindschaft im eigenen Land.

Ökostrom mit Widerstand: Der Streit um die Trassen

Bereits vor einem Jahr hätte der Bundestag den alle vier Jahre fälligen Bundesbedarfsplan für das Hochspannungsnetz verabschieden sollen, aber der Beschluss blieb bislang aus. Nun aber kam der parlamentarische Prozess endlich doch in Gang. Die Verzögerung offenbart die Konflikte um die Umsetzung der notwendigen Energiewende und insbesondere darum, wie der Strommarkt hierzulande und in ganz Europa organisiert ist.

Corona oder der Abschied von der Kulturnation

Die Corona-Pandemie legt die Schwächen der Kulturnation Deutschland schonungslos offen. Für die Kulturschaffenden ist der gegenwärtige Lockdown nämlich alles andere als „light“: Vor allem sie sind von der totalen Schließung ihrer Spiel- und Aufführungsstätten betroffen. Und noch mehr als das: Die Kultur als identitätsstiftendes Leitbild bundesrepublikanischer Selbstvergewisserung gerät im Zuge der Pandemie radikal ins Wanken.

Debatte

Aufgespießt

Kurzgefasst

Kurzgefasst Dezember 2020

Joe Biden heißt der Sieger dieser historischen US-Präsidentschaftswahl. Dass Donald Trump am Ende verlor, hängt laut Politikwissenschaftler Peter Beinart nicht zuletzt mit der fortschreitenden Umverteilung von unten nach oben zusammen. Doch auch Bidens Wahlsieg entsprach nicht der verheißenen „blauen Welle“. Um die Blue-Collar-Worker zurückzugewinnen, so die Analyse des Ökonomen Marshall Auerback und der Politikwissenschaftlerin Albena Azmanova, müssten sich die Demokraten deren wirtschaftlicher Prekarität entgegenstemmen.

Analysen und Alternativen

Die Prekaritätswahl

Zwar wird Joe Biden Amerikas nächster Präsident, aber der knappe Wahlsieg der Demokraten entsprach durchaus nicht der überwältigenden „blauen Welle“, die viele Demoskopen verheißen hatten. Die in der Tat schlagendste Erkenntnis des 2020er Ergebnisses ist vielmehr die Deutlichkeit, mit der dieses die tiefen Spaltungen der 2016er Wahlen erneut offengelegt hat.

US-Demokraten: Ende des Burgfriedens

Die jubelnde Menschenmenge, die sich am Samstag nach der US-Präsidentschaftswahl vor dem Weißen Haus versammelte, beeindruckte nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Heterogenität – als wäre eine repräsentative Stichprobe der Einwohnerschaft von Washington, D.C., auf der Black Lives Matter Plaza abgesetzt worden, um Joe Bidens Sieg zu feiern. Da gab es Code-Pink-Friedensaktivistinnen in bauchfreien Shirts, tanzende schwarze Teenager sowie Beratertypen in ihren blaukarierten Businesshemden. Frauen in Yoga-Leggings trugen Biden-2020-Schilder, Eltern trugen Babys und Großmütter winzige zitternde Hündchen durch das Gewimmel.

Kapitalismus nach der Pandemie

Nach der Finanzkrise von 2008 schossen die Staaten weltweit mehr als drei Billionen US-Dollar in das Finanzsystem ein. Auf diese Weise wollten sie die Kreditmärkte wieder flüssig und die Weltwirtschaft wieder funktionsfähig machen. Doch statt der Realwirtschaft zu helfen – also den Sektoren, in denen tatsächlich Güter erzeugt und Dienstleistungen bereitgestellt werden –, landete der Löwenanteil der Gelder in der Finanzindustrie.

Querdenken 2020: Der neue Süd-Nord-Konflikt

Im vergangenen, durch Corona geprägten Jahr haben wir überall, aber auch und nicht zuletzt in Deutschland eine enorme Zunahme gegen die Regierung gerichteter Proteste erlebt. Spätestens seit dem Aufkommen von Pegida werden diese bei uns mit einem Ost-West-Ressentiment erklärt. Das jedoch geht an der Realität vorbei: Tatsächlich haben wir es weit stärker mit einem Süd-Nord-Konflikt zu tun. Knapp gesagt, trifft bei den Anti-Corona-Protesten süddeutscher Platonismus auf norddeutschen Zentralismus.

Stehen wir auf: Gegen die Deutungshoheit der Islamisten

Nach der Hinrichtung des französischen Lehrers Samuel Paty, der am 16. Oktober 2020 in einem Vorort von Paris von einem Islamisten enthauptet wurde, wie nach dem ebenfalls mutmaßlich islamistischen Anschlag in Nizza knapp zwei Wochen später mit drei Todesopfern konnte man die Wiederkehr des Immergleichen beobachten: Ungehobelte Rassisten beschuldigen den Islam, eine intrinsisch gewalttätige Religion zu sein, während die Verteidiger vom Dienst, Muslime und Nichtmuslime, ermattet hervorheben, dass „die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat“.

Die Islam-Linke oder: Die Vereinigung des Zorns

Im Jahr 1994 veröffentlichte der Vorsitzende der Socialist Workers Party, einer winzigen, der Vierten Internationalen zugehörigen britischen Partei, einen langen Artikel mit dem Titel „Der Prophet und das Proletariat“.[1] Er plädiert darin für ein Bündnis von radikalen linken und muslimischen Verbänden, die man seiner Ansicht nach zu Unrecht als rückschrittlich erachtete. Die der Herde verlorengegangenen Schafe des Islams sollten im Dienste der einzig würdigen Sache mobilisiert werden: der Zerstörung des Kapitalismus.

Bücher und Freiheit: Wider die Pandemie des Autoritarismus

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist eng verbunden mit dem Lesen und dem Schreiben, was ihn für mich besonders attraktiv macht. Mein Leben wäre viel ärmer gewesen, wären meine Leidenschaft – von frühester Kindheit an – für das Lesen von allem, was mir in die Hände fiel, sowie mein Drang, die Gedanken, die mir in den Sinn kamen, niederzuschreiben, durch eine andere Tätigkeit verdrängt worden (selbst wenn sie noch so ansprechend gewesen wäre). Ich bin sehr glücklich, dass meine Gastgeber in der weiten Welt der Bücher eine kleine Ecke für mich gefunden haben.

Westafrika im Wahlmarathon: Das Ende der Demokratisierung?

Westafrika befindet sich im Wahlmarathon: Zwischen Mitte Oktober und Ende Dezember werden in Guinea, der Elfenbeinküste, Burkina Faso, Ghana und Niger neue Staatschefs gewählt, in den drei letzteren Ländern zudem neue Parlamente. Mit Benin folgt Anfang 2021 eine weitere Präsidentschaftswahl in der Region. Eine Stärkung der Demokratie in Westafrika bedeuten diese Wahlen jedoch nicht, im Gegenteil. Fast überall sind die Urnengänge von großer Unsicherheit geprägt; vor allem im Sahel verschlechtert sich die Sicherheitslage durch Terrorismus, Banden und organisiertes Verbrechen zusehends.

Buch des Monats

Wie erklärt sich unser Niedergang?

Schwer ist es, über die zerklüftete, umkämpfte Gegenwart zu schreiben, in der die Politik noch nicht zur Geschichte geronnen ist. Der niederländische Autor Geert Mak versucht es trotzdem – und zwar mit großem Erfolg. Nach seinem vielgelesenen und mannigfach übersetzten Buch „In Europa. Eine Reise durch das 20. Jahrhunderts“ aus dem Jahr 2004 ist nun mit „Große Erwartungen. Auf den Spuren des Europäischen Traums“ die Fortsetzung erschienen, über die Jahre 1999 bis 2019.

Chronik des Zeitgeschehens

Chronik des Monats Oktober 2020

1.10. – Nagorny Karabach. Die Präsidenten der USA, Russlands und Frankreichs fordern in einer gemeinsamen Erklärung die Regierungen Aserbaidschans und Armeniens auf, ihren bewaffneten Konflikt um die von beiden Staaten beanspruchte Region friedlich beizulegen (vgl. „Blätter“, 11/2020, S. 127). Ungeachtet internationaler Appelle zur Einhaltung der Waffenruhe dauern die Gefechte an. Die Regierungen in Baku (Aserbaidschan) und Erewan (Armenien) werfen sich gegenseitig massiven Beschuss vor.