Bundeswehr: Wie tickt die Truppe?
Vor zwanzig Jahren prägte der damalige Bundespräsident Horst Köhler die Formulierung, die deutsche Gesellschaft blicke mit „freundlichem Desinteresse“ auf die Bundeswehr. Damals schienen alle Bedrohungen weit weg.
Klaus Naumann, geb. 1949 in Bremen, Historiker und Politikwissenschaftler, bis 2017 wiss. Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, Mitherausgeber der „Blätter“.
Im Folgenden finden Sie sämtliche »Blätter«-Beiträge von Klaus Naumann.
Vor zwanzig Jahren prägte der damalige Bundespräsident Horst Köhler die Formulierung, die deutsche Gesellschaft blicke mit „freundlichem Desinteresse“ auf die Bundeswehr. Damals schienen alle Bedrohungen weit weg.
Ukrainische Soldaten auf russischem Boden vor Kursk, aber Putins Truppen mit Geländegewinnen in der Ukraine und zugleich die USA vor der Präsidentenwahl und einer möglichen Rückkehr Donald Trumps: Diese hoch komplizierte globale Situation trifft auf eine bundespolitische Lage, die mit dem Wort von der „Übergangsregierung“ (Omid Nouripour) analytisch durchaus treffend beschrieben ist.
Mit Blick auf die vor bald einem Jahr verkündete „Zeitenwende“ drängt sich eine tragische Ironie auf: Mit dem Beginn des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine wurde die Koalition, die sich dem Fortschritt verschrieben hat, gleichsam über Nacht zum Offenbarungseid gezwungen.
Die deutsche Debatte in Politik und Öffentlichkeit folgt einem Pawlowschen Reflex: Kaum ist von Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine die Rede, kaum präsentiert der Kanzler die Wehr-Bazooka in Höhe von 100 Mrd.-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr, kaum wird das Zwei-Prozent-Stichwort mit Blick auf das Niveau des Verteidigungsetats in den Mund genommen, beklagt ein vielstimmiger Chor die „Militarisierung“ der Politik.
Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse entbehrt nicht der Ironie. Nach jahrelangen Untersuchungen haben die australischen Streitkräfte soeben einen Bericht vorgelegt, der die massiven Gesetzesverstöße und Gewaltaktionen einer brutalen „warrior culture“ anklagt. Im Afghanistankrieg hatten sich die eingesetzten Special Forces zu Herren über Leben und Tod aufgeschwungen, indem sie gefangene Talibankämpfer und Zivilisten erschossen. Das dominante „NCO-Milieu“ (der Unterführer) veranstaltete Mordrituale zur Aufnahme in die eigenen Reihen. Jahrelang war davon nichts an die Öffentlichkeit gedrungen.
In der Diskussion über rechtsextreme Tendenzen und Strukturen in der Bundeswehr steht immer wieder das Kommando Spezialkräfte im Mittelpunkt der Kritik. Das Grundproblem dabei ist jedoch die schwächelnde Innere Führung der gesamten Armee.
Während die meisten Deutschen die Verbrechen aus zwei Weltkriegen nicht vergessen haben, gibt sich die AfD als „Soldatenpartei“. Die von ihr geplante Neuausrichtung der Bundeswehr wäre nicht weniger als ein Bruch mit dem Grundgesetz – und mit der internationalen Ordnung.
Im Rahmen der hitzigen Diskussionen über seine soeben erschienene Stauffenberg-Biographie wartete Thomas Karlauf[1] mit einer Pointe auf, die es in sich hat. Der Graf, so Karlauf, gehöre „in die Mitte der Gesellschaft“.
Um es gleich vorweg zu sagen, ein „Historikerstreit“ ist das nicht, was sich im bisherigen Verlauf des Geschichtsjahres 2014, also einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, an politisch-publizistischen Aufwallungen bemerkbar gemacht hat.
Die Münchner Sicherheitskonferenz im Januar 2014 hat ein starkes Signal für eine Überprüfung der deutschen Sicherheitspolitik gesetzt.
Nachdem nun das große Aufatmen über den Ministerwechsel im Verteidigungsministerium vorüber ist und der neue Amtschef seine Arbeit aufgenommen hat, ist es an der Zeit, eine Eröffnungsbilanz der Ära de Maizière vorzulegen. Der Minister hat gepunktet mit seiner nüchternen Bestandsaufnahme, seinem Auftreten und seinen ersten Vorlagen.
"Tangentopoli" - von tangenti, Schmiergelder - hieß in der italienischen Öffentlichkeit schon früh die Affäre, die in der ersten Hälfte der 90er Jahre im Gefolge staatsanwaltlicher Korruptionsaufklärung das Parteiensystem des Landes durcheinanderwirbelte und zum Untergang der Democrazia Cristiana ebenso wie der von ihr dominierten Ersten Republik führte.
General Naumann, der jüngst verabschiedete Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, hatte schon immer die Nase vom. Ende 1991, damals als Generalinspekteur der Bundeswehr, zeichnete er in seinem Strategie-Papier den künftigen Weg der Bundeswehr zu Out-of-Area-Einsätzen und Krisenreaktionskräften vor.
Ich war dabei, als zwei Russen, Alter ca. 12-14 Jahre, deren Verbrechen darin bestand, in der Hauptkampflinie aufgegriffen zu werden, als mögliche Spione ohne Verhandlung oder ordentliches Gerichtsurteil auf Befehl des Bataillonskommandeurs von Freiwilligen erschossen wurden, nachdem sie zuvor ihr Grab selbst geschaufelt hatten.
Nach dem unrühmlichen Ende eines der drei Nachfolgestaaten des Großdeutschen Reiches scheint es nun völlig unangemessen, der Bundesrepublik hinsichtlich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit den Rang abzusprechen.
Am Morgen des 13. Februar 1945, die alliierte Bomberflotte war noch nicht in Sicht, erging der Befehl an die noch verbliebenen 70 Dresdner Juden, sich an bestimmten Sammelplätzen zur Deportation einzufinden. Die Bombenangriffe der folgenden Tage kamen dazwischen. Wer die Angriffe überlebte, hatte die Chance, im Chaos der Zerstörung zu entkommen.
In der Mitte entspringt nicht nur ein Fluß, auch der Präsident scheint ihr zu entstammen. "Mitte, die Mitte bleibt", textete Manfred Stolpe zum präsidialen Siebzigsten. Keiner kann sich dem entziehen. Als einzige hatten die Grünen sich 1989, einem Tabubruch gleich, gegen seine Wiederwahl gesperrt. Heute wäre das kaum der Fall.
"Nichts kennzeichnet vielleicht besser den Wandel, der sich im deutschen außen- und innenpolitischen Bewußtsein abgespielt hat, als der Unterschied zwischen den Obertönen, die heute mitschwingen, wenn die Redewendung "die westlichen Demokratien" verwandt wird, und den Assoziationen, die vor einem Menschenalter mit diesen Worten verbunden waren." Ernst Fraenk
Soviel Ende war nie. Die alte Bundesrepublik droht in der Einheitsfalle zu verschwinden. Mit den Zeiten relativer Homogenität und ungebrochener Prosperität ist es vorbei. Die Volksparteien geraten auf die Liste der gefährdeten Gattungen. Politikverdrossenheit macht sich breit. Die Erwartungen in die Kompetenz der Berufspolitiker schrumpfen.
In 10 bis 15 Jahren, das hat uns der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz verraten, werden wir auf fundierte Erträge zeitgeschichtlicher Forschung über Einheit und Vereinigung zurückgreifen können. Über Bewertungen hat er sich nicht geäußert.
Von Klaus Naumann Eine Ära scheint sich ihrem Ende zu nähern - die Ära der Kohl. Ende der Wende? Totgesagte leben länger. Dieser Spruchweisheit folgend, sollte man mit Terminen vorsichtig umgehen. Aber die Auguren, Demoskopen und Wahlkommentatoren - zuletzt wg. Hamburg machen in schön Wetter, jedenfalls für die parlamentarische Opposition, genauer: für die Sozialdemokratie.
"Es kommt wieder Eisen in die Politik." Thomas Schmid, 1990. Alle reden vom Krieg. Wir auch, aber anders. Der Golfkrieg und die neue Bundesrepublik, - wie wäre dieses Zusammentreffen anders zu bewerten denn als katalysatorischer Prozeß, in dem die Eigentümlichkeiten des neuen Deutschlands mit aller Macht hervorgetrieben und zugespitzt werden?
In einem der wenigen erhaltenen Briefe des griechischen Philosophen Epikur schrieb dieser vom Totenbett an einen Freund, ihm ging es bestens, denn "die Schmerzen können nicht mehr schlimmer werden".