Im Weltenbrand
Herfried Münkler gehört zu den produktivsten und wirkmächtigsten Intellektuellen des Landes. Zu seinem 70. Geburtstag hat er sich nun selbst mit einem neuen Werk beschenkt.
Herfried Münkler gehört zu den produktivsten und wirkmächtigsten Intellektuellen des Landes. Zu seinem 70. Geburtstag hat er sich nun selbst mit einem neuen Werk beschenkt.
Dem französischen Schriftsteller und Widerstandskämpfer Jean Cayrol und seinen Mithäftlingen blieb im Konzentrationslager nur noch eine Halluzination vom Leben: „[W]ir gingen in ein schwarzes Märchenstück, dessen einzige strahlende Realität wir in uns selber trugen: die Realität unserer Träume.“
Knapp ein Jahr vor der französischen Präsidentschaftswahl steht Emmanuel Macron erheblich unter Druck. Sehr viel ist ihm bislang nicht gelungen, weder zu Hause noch in Europa, von den militärischen Engagements wie in Mali ganz zu schweigen. Konnte er 2017 im zweiten Wahlgang noch die große Mehrheit der republikanisch gesinnten Franzosen hinter sich vereinen, spürt nun seine mutmaßlich erneute Hauptkonkurrentin Marine Le Pen Rückenwind. Ihr gelingt die „Entdämonisierung“ ihrer zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus lavierenden Partei Rassemblement National zunehmend besser.
Am 8. Mai 2021 war das Maß endgültig voll: Die baden-württembergischen Grünen beschlossen im Rahmen eines Parteitags, in dessen Fokus eigentlich der soeben mit der CDU ausgehandelte Koalitionsvertrag stehen sollte, ein Ausschlussverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer einzuleiten. Sein letzter „Coup“ bestand in der Kombination von Sexismus und Rassismus in Bezug auf ein unbelegtes Zitat eines Fußballspielers.
Dass die Grünen sich derzeit anschicken, Angela Merkel im Kanzleramt zu beerben, ist offensichtlich. Dass sich die Erbschleicherei allerdings auch auf Merkels neo-pathetisches Amtsverständnis bezieht, wurde bisher oft übersehen. „Ich will Deutschland dienen“, mit diesen großen Worten begründete Merkel 2005 ihre erste Kanzlerkandidatur – ganz bewusst platziert gegen das narzisstisch-stillose „Ich will da rein“ ihres Vorgängers. „Da rein“ wäre auch Robert Habeck gerne gekommen. Doch dem stand bekanntlich Annalena Baerbock entgegen.
Der herrschende Kurs der totalen Ökonomisierung zeigt sich exemplarisch bei der größten deutschen Sendeanstalt, dem WDR.
Die allein auf marktradikale Prämissen und nicht auf gesellschaftsrelevante Themen setzende Programmreform ist unvereinbar mit der bisherigen Struktur der öffentlich-rechtlichen Medien.
Auch heute noch verkörpert Bob Dylan den archetypischen amerikanischen Künstler, der sich wie kein anderer mit der Geschichte, den Mythen und Obsessionen, aber auch den Hoffnungen des Landes auseinandersetzt.
Die Frage nach dem Geschlecht ist immer auch eine politische. Denn alte binäre Geschlechternarrative lassen sich nicht auf moderne Familienmodelle übertragen.
Häufig wird der Vorwurf erhoben, Identitätspolitik führe zur Spaltung der Gesellschaft in Kleingruppen und Partikularinteressen. Das aber verkennt grundlegend die Bedeutung dieses Aktivismus.
Ende vergangenen Jahres sorgte ein Zusammenschluss mit dem sperrigen Namen „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ für Aufsehen und eine heftige Debatte. Die Initiative von Leiter*innen einiger der größten deutschen Kulturinstitutionen sowie Museen und Forschungsstellen zu Antisemitismus und jüdischer Geschichte richtet sich gegen den Bundestagsbeschluss „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ aus dem Jahr 2019. BDS ist das Kürzel für die propalästinensische Bewegung „Boykott – Desinvestitionen – Sanktionen“ gegen Israel.
Die Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses in der Mitte Berlins ist nach sieben Jahren Bauzeit abgeschlossen. Die Debatte um den Wiederaufbau ist damit jedoch keineswegs zu Ende – zu Recht.
Die Corona-Pandemie legt die Schwächen der Kulturnation Deutschland schonungslos offen. Für die Kulturschaffenden ist der gegenwärtige Lockdown nämlich alles andere als „light“: Vor allem sie sind von der totalen Schließung ihrer Spiel- und Aufführungsstätten betroffen. Und noch mehr als das: Die Kultur als identitätsstiftendes Leitbild bundesrepublikanischer Selbstvergewisserung gerät im Zuge der Pandemie radikal ins Wanken.
Es gibt in der Geschichte, wie der Philosoph Gershom Sholem einmal sagte, so etwas wie plastic hours, „formbare Zeiten“ also, „historische Augenblicke, in denen es möglich wird zu handeln. Wenn man sich dann bewegt, geschieht etwas.“ In solchen Momenten erweist sich eine versteinerte Gesellschaftsordnung plötzlich als veränderbar, fortwährende Starre weicht der Bewegung und die Menschen wagen zu hoffen. Doch „plastic hours“ sind rar. Sie setzen die richtige Konstellation zwischen öffentlicher Meinung, politischer Macht und Ereignissen voraus – für gewöhnlich eine Krise.
In jeder schweren Krise Europas taucht sie zuverlässig wieder auf: die Frage nach der europäischen Identität. Wer nach einem frischen Zugang zu dieser bisweilen ritualisiert wirkenden Debatte sucht, kommt am neuen Buch von Johny Pitts nicht vorbei.
Die Konfrontation der Weltmächte USA und China ist auch eine Konfrontation zweier Philosophien: Ein westlicher, die Menschenrechte ins Zentrum stellender Universalismus wird dabei von einem Universalismus der friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Systeme herausgefordert.
Ein junger Mann drückte Anfang Juni in Bristol symbolträchtig sein Knie auf den Nacken der Edward-Colston-Statue, die kurz zuvor zu Fall gebracht worden war. Wie er demonstrieren seit Wochen Tausende weltweit gegen Rassismus, koloniale Denkmäler und Polizeigewalt. Anlass und Katalysator der Proteste ist der Tod von George Floyd, der am 25. Mai in Minneapolis bei einer Festnahme starb, weil der Polizist Derek Chauvin mehrere Minuten auf seinem Nacken kniete.
Als die Bundeskanzlerin am 12. März 2020 in ihrer ersten außerplanmäßigen TV-Ansprache dazu aufrief, Sozialkontakte möglichst zu vermeiden, war jedem klar, dass drastische wirtschaftliche Auswirkungen unvermeidlich sein würden. Bereits am darauffolgenden Tag reagierten Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Sie versicherten auf einer Pressekonferenz, dass die Bundesregierung alles Notwendige tun werde, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise einzudämmen.
Drohende Zwangsimpfungen, Viren aus dem Geheimlabor, die Neue Weltordnung: So mancher will in der Coronakrise derzeit nichts weiter als eine einzige große Verschwörung erkennen.
Versöhnung mit der Moderne, Ehrenrettung der „Entarteten Kunst“, Wiedereintritt Deutschlands in die Rolle der europäischen Kulturnationen. So lauten die Formeln, wenn die Rede auf die documenta kommt. Die 1955 gegründete „Weltkunstschau“, die alle fünf Jahre in Kassel stattfindet, gilt wie kaum ein anderes Ereignis als Ausweis der Läuterung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und als Symbol des kulturellen Neuanfangs.
Es ist wieder von Helden die Rede und vor allem auch von Heldinnen – in einer Zeit, in der man sich von solchen Gestalten eigentlich schon verabschiedet zu haben schien; in einer Epoche, die den kriegerisch und maskulin geprägten Heldenfiguren der Vergangenheit zutiefst misstraut und sich darum als „postheroisch“ betrachtet. Aber die Coronakrise hat eine scheinbar ganz neue Form heroischer Charaktere hervorgebracht: Es sind Krankenpfleger und Kassiererinnen im Supermarkt, die sich dauernd einem hohen Infektionsrisiko aussetzen.
Linke Intellektuelle pflegten lange ein Geschichtsbild, in dem sich die Nation aus der Geschichte verabschiedet hatte. Doch in Zeiten des Rechtsrucks gilt es, sich den Begriff der Nation wieder neu anzueignen.
Ein Buch über Konrad Wolf ist selbst für die von Hans Magnus Enzensberger gegründete, heute von Christian Döring geleitete Andere Bibliothek ungewöhnlich.
Sie sind nicht zu beneiden, die Experten, die Inhaber hoher internationaler Posten, die weißen Männer des Westens. Sozialisiert im Kalten Krieg, müssen sie miterleben, wie das Bündnis zwischen Europa und den USA wankt, das Systemdenken zerbricht, der Grund ihres Handelns ins Schwanken gerät.
Bei der Untersuchung der Rezeption von westdeutschen Autorinnen und Autoren in der DDR muss man grundsätzlich zwischen den offiziell gedruckten Stellungnahmen und der mündlichen Überlieferung stattgefundener Diskussionen unterscheiden.
Früh schon hieß es unter Kritikern, der Dichter Günter Kunert sei den Raben verwandt. Diesen sehr einzelnen Wesen, die bei erfahrenen Hexen, weisen Göttinnen und exzellenten Zauberern wohnen. Nachricht bringen sie vom Wesen der Dinge, unbekümmert über Bitterkeit oder Erfreulichkeit ihrer jeweiligen Kunde.